Eindrücke von der Unkonferenz frei<tag> 2012 und der LIBREAS. Summer School
Auch mitten im Sommer sind wir von Diskurs umgeben. Eigentlich bleibt einem Verein zur Förderung der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Kommunikation aber bereits aus seiner Natur heraus wenig anderes, als sich permanent am Förderband der Wissensproduktion zu bewegen.
Obwohl wir die von Walther Umstätter im Anschluss an Derek de Solla Price oft vertretene Entwicklung hin zu einer „Fließbandproduktion des Wissens“ (vgl. diesen Beitrag in der Wikipedia) für die deutsche Bibliotheks- und Informationswissenschaft im engeren Sinn allein aus den ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen vorerst nicht als ein sich durchsetzendes Leitkonzept ansehen können. In den Werkstätten der Reflexion erweist sich das Fach eher als Manufaktur denn als Großforschungsfabrik. Das Anliegen des LIBREAS.Vereins ist bekanntlich das Raffinement der dort gepflegten Verfahren.
In erweiterten Grenzen – man denke Grid-Projekte für Digitale Bibliotheken oder Virtuelle Forschungsumgebungen – entsteht dagegen für die Bibliotheks- und Informationswissenschaft nahezu die Verpflichtung zur Integration in größere Forschungsverbünde. Obendrein ist Großforschung gar nicht so selten ein höchst transdisziplinäres Unterfangen. Die Unterstützung solcher intellektuellen Transferleistungen (=wissenschaftliche Kommunikation auch über den Rahmen der Community hinaus) ist folgerichtig ein weiteres Ziel des Vereins – und damit wären die beiden zentralen Koordinaten auch schon benannt.
Die TeilnehmerInnen der Unkonferenz frei<tag> 2012 an einem noch angenehm sommerlichen 17. August 2012 (bevor die Region Berlin-Brandenburg zum Samstag auf die unangenehme Seite des Hitzeschildes wechselte) im so genannten Schaufenster der Fachhochschule Potsdam diskutierten folglich u .a. genau zu dieser Fragestellung, nämlich der Verortung und Interaktion der Disziplin in Großforschungsprojekten. Ausgangspunkt waren die seit der Hamburger Tagung etwas schwungvoller auch in der allgemeinen Öffentlichkeit präsenteren Digital Humanities (vgl. auch den zweiten Teil dieses Beitrags im LIBREAS-Weblog).
Die Bibliothek, so eine These, scheint vor dem Horizont der Wissenschaftskulturen sogar den Geisteswissenschaften zugewandter zu sein, da sie traditionell vor allem die Primärdaten dieser Fächer vorhält. In dem sie solche Bestände digitalisiert und zudem traditionelles methodisches Wissen aus der Bibliothekswissenschaft (Bibliometrie, Szientometrie) zur zunächst quantitativen und im Anschluss sinnvollerweise auch qualitativen Beforschung der Inhalte aktivieren kann, wird die Institution fast noch stärker als in den STM-Fächern nahezu zwangsläufig zum unmittelbaren Forschungspartner.
Leider verging die Zeit dieser Session zu Digitalen Geisteswissenschaften und Virtuellen Forschungsumgebungen etwas zu flott, um vor Ort die Erkenntnis zu notieren, dass die Bibliotheks- und Informationswissenschaft in der Wissenschaft eine deutliche Perspektive bei der Entwicklung von geisteswissenschaftlichen Großforschungsstrukturen findet – beispielsweise als Partner bei der Methodenentwicklung, -prüfung und -kritik oder eben als Primärdatenorganisator.
Wenn Information=Wissen in Aktion ist, wie Rainer Kuhlens berühmte Schlagwortkette auch von einer Wand im Gebäude der Fachhochschule Potsdam verkündet, dann ist die Informationswissenschaft folgerichtig eine Disziplin, in der er es um Aktivierungsmöglichkeiten für Wissen geht. Das Format der Unkonferenz scheint dafür ein probates Mittel zu sein. Da schadet es auch nicht, wenn nur etwa 30 TeilnehmerInnen ins exzellent für derartige Zwecke geeignete Potsdamer FHP-Schaufenster finden und sich erheblich mehr Catering auf dem Kredenztisch stapelt, als die Gruppe bewältigen kann.
Denn gerade in dieser fast Intimität, die es ermöglicht, wirklich mit allen Anwesenden in einen Austausch zu treten, gelingt die Rundumaktivierung des Wissens bisweilen produktiver als auf Versammlungen für Hundertschaften. Wie in der Wissenschaft drängt man sich auch hier nicht um die Frage nach Quantität oder Qualität sondern balanciert um die nach dem richtigen Verhältnis.
In Potsdam wurde es gefunden und per Twitter (unter dem Hashtag #freitag12) gelang es sogar, die Veranstaltung begleitend nicht nur zu dokumentieren sondern sogar zeitnah Rückkopplungen von Beobachtern einzubinden. Soziale Kommunikationsnetzwerken erweisen sich zudem als schnell bespielte Schauplätze der Nachbereitung : Heike Stadler subsumiert die Ergebnisse der außerordentlich intensiven Sitzung zum Verhältnis von Partizipation und Bibliotheken in ihrem Weblog. Liane Haensch liefert im Weblog Lesewolke ein mustergültiges Protokoll, in dem sie die Essenz der gesamten Veranstaltung abbildet. Einzig die Digital-Humanities-Session entging ihr ein wenig, da sie sich in der Parallelsitzung mit FRBR und RDA befasste. Aber dafür steht der Grundtenor dieser Sitzung ja weiter oben in diesem Text.
Während der Ansatz einer Unkonferenz weitgehend etabliert zu sein scheint, fand die LIBREAS-Summer School erstmalig und damit auch als eine Art Pilotversuch statt. Das Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft ist an sich ein exzellenter Ort, erreicht man hier doch die Zielgruppe der dieses Fach an der Humboldt-Universität zu Berlin Studierenden in den ihnen vertrauten Räumen. Der niedrigschwellige Ansatz ging allerdings nur eingeschränkt auf. Möglicherweise ist es doch zu optimistisch, davon auszugehen, dass es bei den Studierenden in der hochsommerlichen Semesterzwischenzeit ohne größere Vorbegleitung eine erhebliche Nachfrage zur fakultativen Weiterbildung gibt. Zudem ist die terminliche Nähe zur IFLA-Konferenz, die an dem Wochenende so manche/n noch in Finnland festhielt, etwas, was man zukünftig vermeiden sollte.
Eine Handvoll Studierende anderer Hochschulen füllte erfreulicherweise die Lücke, die der einzige anwesende IBI-Student nicht komplett zu verdecken vermochte. Davon abgesehen war das Interesse vor allem bei Postgraduierten deutlich höher und entsprechend rasant bis hitzig verlief die Fachdiskussion zur kurzerhand zur Keynote erklärten Präsentation Johanna Sprondels über die Anthropology of the Virtual. Unbeabsichtigt verlängerte sich so die Stimmung der Unkonferenz in die Summer School und auch wenn einige Beteiligte sichtlich genossen, dass sich aus einem Workshop eine Art bibliothekswissenschaftliches Kolloquium entspann, steht für eine eventuell folgende LIBREAS Summer School eine konzeptionelle Revision des Verfahrens auf dem Planungsprogramm.
Die Leitlinie, die wir als Erkenntnis mitnehmen, lautet: gestraffter, gegliederter und ergebnisorientierter. Zudem, so eine weitere Einsicht, sind vier Themen nicht unbedingt besser als eines, wenn man zu jedem einzelnen problemlos einen ganzen Nachmittag bestreiten könnte. Gerade der sehr auf Interaktion setzende Workshop zum Schreiben und Publizieren in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft zeigte, dass man allein der Frage der individuellen Motivationslagen mehr Zeit als die Planung vorsah widmen kann bzw. sogar muss. Erweitert man den Komplex auf Schreibtechniken und überlegt zu Aspekten zur Eigendistribution von Inhalten über Social Media-Plattformen, sind die Summer School-Stunden mehr als zureichend ausgefüllt.
Angesichts der Tatsache, dass es sich bei der Summer School um eine Premiere handelte, gestatten wir uns dennoch weitgehend zufrieden zu sein. Der LIBREAS.Verein konnte nicht zuletzt – um es informationswissenschaftlich zu formulieren – eine Menge Verfahrenswissen sammeln. Auch sprechen spontane Rückkopplungen dafür, dass die TeilnehmerInnen die Veranstaltung auch als persönlichen Gewinn empfanden, wenngleich die Quantität des Inputs mitunter als zu hoch bewertet wurde. Wobei wir wieder bei der bereits oben angestoßenen Frage der Relation sind.
Der LIBREAS.Verein bedankt sich sehr herzlich bei Fachhochschule Potsdam und dem dortigen Fachbereich Informationswissenschaften sowie insbesondere Hans-Christoph Hobohm für die großartige Unterstützung und Gastfreundschaft bei der Durchführung der Unkonferenz, dem Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin für die Räumlichkeiten für die Summer School, den Leuten hinter Citavi für das Catering sowie allen TeilnehmerInnen, die zugleich als Adressaten wie auch als Aktive dem LIBREAS.Verein dabei halfen und helfen, einen Beitrag zum Ausbau der Möglichkeiten bibliotheks- und informationswissenschaftlicher Kommunikation zu leisten.
Ein besonderer Dank gilt Christoph Szepanski und Matti Stöhr für die hervorragende Vor-Ort-Organisation beider Veranstaltungen!
Berlin, 22.08.2012
(bk)